„Vom Garten leben“ – klingt nach Selbstversorgung. Aber auch nach einem funktionierenden Geschäftsmodell. Wahrscheinlich hätte sich Linus Keutzer keinen besseren Namen für sein Projekt ausdenken können, denn genau das beschreibt die Entwicklung, die sein Garten in den letzten Jahren genommen hat. Vom Selbstversorgerprojekt zur Gemüsegärtnerei, mit der er in seinem ersten Betriebsjahr 40 Haushalte mit Gemüse versorgt hat. Immer mit dabei: Seine kleine Tochter und das Handy. Denn Linus pflanzt und erntet nicht nur, sondern er nimmt seine wachsende Followerschaft auf Instagram auch mit auf seine Reise. Selbstgebauter Folientunnel? Die Anleitung wird geteilt. Folientunnel beim Sturm leicht lädiert? Linus ergänzt sofort, wie man den Tunnel stabilisieren kann.
„Gemüse ist Punk“ ist sein Motto, und mit „Punk“ meint er, dass man einfach mal loslegen soll. So wie man ohne Gitarrenskills eine Punkband gründen könne, so könne man auch einfach mal ein paar Samen in die Erde stecken und gucken, was draus wird. Machen und Lernen, Scheitern und Verbessern – und das gemeinsam mit anderen. Neben Instagram gibt es den Blog „Vom Garten leben“ und einen Podcast, und auf allen Kanälen geht es um eins: Wissen und Erfahrungen zu teilen. Damit das auch 2020 so weitergehen kann, hat Linus letzte Woche ein Crowdfunding gestartet (und schon das erste Ziel erreicht – hurra!) – und ich habe die Gelegenheit genutzt, ihm noch ein paar Fragen zu stellen, die vielleicht nicht im Crowdfunding-Video geklärt werden.
Vor sechs Wochen war ich ja in deiner Gärtnerei zu Besuch. Mir ist sofort aufgefallen, dass deine Beete besonders schmal sind und sehr dicht bepflanzt, außerdem lag da ein riesiger Haufen Kompost. Du hast erzählt, dass für dich die Konzepte „Market Gardening“ und „biointensiv“ sehr wichtig sind – kannst du kurz erklären, was das ist?
Die Begriffe sind wie auch „Permakultur“ gerade sehr angesagt. Aber es gibt dafür keine umfassende und verlässliche Definition. Aktuell werden „Market Gardening“ und „biointensiver Anbau“ oft synonym verwendet, für den Anbau von Gemüse mit möglichst hohem Ertrag auf verhältnismäßig kleinen Flächen. „Market Gardening“ ist als Konzept eigentlich als Abgrenzung zum klassischen raumgreifenden, maschinengestützten „Farming“ zu verstehen. Ich denke, darum geht es: Man bewirtschaftet eher einen Garten, als eine Farm. Aber eben nicht nur für sich, sondern für den Markt. Das gefällt mir an dem Konzept so gut: Es unterstreicht die einfache Zugänglichkeit. Du hast ein paar Quadratmeter Gartenland? Dann kannst du darauf Gemüse anbauen und es verkaufen. Curtis Stone, einer der Wegbereiter des modernen Market Gardenings, hat einfach in der Stadt kleine Gärten gepachtet und ist dazwischen mit dem Fahrrad hin und her gependelt. J.M. Fortier, der zweite Popstar unter den Market Gardenern, hat mit seiner Frau zusammen im ersten Jahr knapp 1000 qm bewirtschaftet und während der Saison neben dem Gemüse im Zelt gewohnt. Im Winter sind sie dann verreist.
Das Konzept des biointensiven Anbaus erklärt sowohl den Kompost, als auch die schmalen Beete, die du gesehen hast. Die zur Verfügung stehende Fläche sollte so intensiv und effektiv wie möglich bewirtschaftet werden. Standardisierte Beetbreiten und -längen ermöglichen das Arbeiten mit darauf perfekt angepassten Werkzeugen. Außerdem wird die Planung und Dokumentation erleichtert. Besonders wichtig sind die Pflanzabstände der unterschiedlichen Kulturen. Die Pflanzen sollten so dicht wie möglich zusammenstehen, damit sie noch genug Platz für ihre Entwicklung haben, aber sich bestenfalls ein sogenannter Blattschluss bildet. Das Blattwerk schließt sich zu einer grünen Decke, durch die kaum Sonnenlicht dringt. Dadurch hat man sehr wenig Unkrautdruck und spart viel Zeit und Arbeit. Außerdem wird der Boden vor starker Sonne und Regen geschützt. In der Natur gibt es ja auch keine nackte Erde.
Ein weiteres wichtiges Element im biointensiven Anbau: Die Beete sind als Dauerbeete angelegt. Sie werden vorsichtig tiefgründig gelockert, aber ansonsten nur noch oberflächlig bearbeitet. Das schont vor allem das Bodenleben. Und durch die Zugabe von Kompost, Gesteinsmehl, Hühnerdung und anderen natürlichen Materialen kann sich ein natürlicher, fruchtbarer, humoser Boden entwickeln.
Du stellst ja auf deinem Blog auch andere Gärtnereien vor, die nach dem Prinzip wirtschaften. Kannst du ein paar Zahlen nennen (Hektar und Ernteanteile), die zeigen, wie hoch der Ertrag mit diesem System ist?
Das lässt sich nicht einfach verallgemeinern, da alle Gärtnerei-Projekte, die ich bisher kennengelernt habe, sehr unterschiedlich sind. Nicht alle arbeiten nach der biointensiven Methode und haben dadurch unterschiedliche Erträge bezogen auf die Fläche. Und nicht jeder packt gleich große Ernteanteile. Ich habe im letzten Jahr zum Beispiel etwa 750 m2 reine Beetfläche bewirtschaftet und damit bis zu 40 Gemüsekisten in der Woche packen können. Eine andere junge Gärtnerei, mit der ich im Kontakt stehe, schafft auf 1200 m2 stolze 120 Gemüsekisten wöchentlich. Deren Inhalte und Mengen sind aber auch andere als bei mir.
Das heißt, man kann auf sehr wenig Fläche viel Gemüse anbauen. Das wäre ja eigentlich ein ideales Modell, um es auch in Städten umzusetzen, wo die Flächen ziemlich knapp sind?
Das wird ja besonders in den USA schon viel gemacht. Für mich war das sogar der Hauptantrieb selbst zu starten, obwohl ich auf dem Land wohne. Aber der Gedanke, Land zu kaufen oder große landwirtschaftliche Flächen zu pachten, stellt schon eine Hemmschwelle dar. Nachdem ich allerdings bei Curtis Stone, „The Urban Farmer“, gesehen habe, wie er in Vorgärten und Hinterhöfen Gemüse anbaut, da gab es für mich kein Halten mehr 😉 Grundsätzlich bietet die Stadt sogar interessante Möglichkeiten. Die Gärten sind tendenziell besser geschützt gegen die Witterung, gegen Wind und Frost. Brachliegende Flächen und ungenutzte Gärten können unter Umständen kostenlos oder sehr günstig genutzt werden. Man erzeugt schnell viel Aufmerksamkeit und kann leichter spannende Beteiligungsprojekte umsetzen als auf dem Land. Und schaut man sich die Prinzessinnengärten in Berlin an, dann kann man sogar auf versiegelten Flächen wie Parkplätzen oder Industriebrachen Gemüse anbauen.
Du hast ja in deiner ersten Saison jede Woche 40 Ernteanteile verkauft – das klingt eigentlich nach einer kleinen Solawi. Warum hast du dich doch für das Abokistenmodell entschieden?
Um ehrlich zu sein: Ich habe mich nicht getraut. Ich hatte die Befürchtung, dass die Hemmschwelle für die potentiellen Kunden/Mitglieder zu groß ist. Schließlich legt man sich bei einer Solawi in der Regel für eine Saison fest. In meinem Fall sogar, ohne dass der Anbieter schon erfolgreiche Jahre als Referenz hätte. Und für mich hätte das zusätzlichen Druck bedeutet: Wenn die Mitglieder vielleicht sogar schon im Voraus für die ganze Saison bezahlt haben, dann muss ich natürlich auch liefern können. Die Solidarität und das Commitment der Mitglieder kann man ja auch nicht überstrapazieren. Außerdem muss ich alles alleine wuppen und da wäre mir die Vorbereitungsarbeit für eine Solawi zu viel gewesen. Welche Struktur soll die Solawi haben, gibt es Leitlinien oder eine Satzung? Wie stellt man das Konzept vor? Inwieweit werden Mitglieder an Entscheidungsprozessen beteiligt? Wie macht man die Betriebsprozesse transparent?
Spreche ich jetzt allerdings mit Solawis, die sich dieses Jahr gegründet haben, stelle ich fest, dass diese Befürchtungen unbegründet waren. Eine Solawi muss nicht vom Start weg perfekt aufgestellt sein, sondern kann sich auch mit seinen Mitgliedern gemeinsam finden und entwickeln.
Wie hast du die 40 Kund*innen gefunden?
Das war überraschend einfach. Ich bin früh in die Planung gegangen, habe mir Gedanken über Zielgruppen gemacht, Listen mit möglichen Multiplikatoren erstellt und dazu Strategien entworfen, wie ich wen ansprechen kann. Am Ende lief es aber so, dass eine befreundete Hebamme die Idee gut fand und mein Projekt in einer Email an ihren Verteiler von jungen Eltern geschickt hat und schon zwei Tage später war ich ausgebucht und musste eine Warteliste aufmachen. Ich denke, das ist auch kein glücklicher Sonderfall. Die Nachfrage nach regionalen, direkt vermarkteten Lebensmitteln ist sehr groß und der Zeitpunkt ist jetzt perfekt, um die Nachfrage zu bedienen. Ich hätte das so nicht vermutet, aber mittlerweile habe ich von ähnlichen Projekten immer wieder gehört, dass die Abos oder Ernteanteile recht schnell vergeben waren.
Du hast erzählt, dass du deine Kund*innen über verschiedene Kanäle auf dem Laufenden hältst. Kannst du dazu ein bisschen was erzählen?
Ich lege jede Woche einen Gartenbrief mit in die Gemüsekisten. Darin erzähle ich zum Beispiel, was in der Gärtnerei gerade anliegt, beschreibe einzelne Gemüsesorten und gebe Tipps für die Zubereitung. Außerdem stelle ich andere Direktvermarkter aus unserer Region vor. Kurze News gebe ich über eine sogenannte Broadcast-Liste per WhatsApp.
Dein Blog, der Podcast, Instagram, alle Kanäle haben das Ziel, andere Menschen darin zu bestärkten, ähnliche Projekte zu starten. Und auch dein Crowdfunding unterstützt dieses Ziel. Woraus ziehst du diese große Motivation, die dir ja auch viel Arbeit bringt, und warum sollte es deiner Meinung mehr Projekte wie deins geben?
Der letzte Teil der Frage lässt sich leicht beantworten. Ich denke, dass die Landwirtschaft der Zukunft wieder kleinteiliger bzw. vielseitiger werden muss. Das ermöglicht den Betrieben die regionale Direktvermarktung, macht unabhängiger vom Druck des Markts, von Preisschwankungen und Umwelteinflüssen. In Bezug auf das Market Gardening hat Deutschland da schon noch Nachholbedarf. Das habe ich früh gemerkt, als ich von Amt zu Amt gelaufen bin und Schwierigkeiten hatte, meinen Betrieb anzumelden, weil niemand wusste, wie er das einordnen sollte. Landwirtschaft auf 1000 Quadratmetern? Sowas gibt es hier nicht. Ich bin erstmal durch jedes Raster gefallen und hätte das ein oder andere Mal schon fast aufgegeben. Und genau diese Probleme schildern mir auch immer wieder andere junge Gemüsegärtnerei-Gründer, die mich z.B. bei Instagram anschreiben und Rat suchen. Meine Motivation ist es, an der Stelle zu unterstützen und Basiswissen zu vermitteln, mit dem man loslegen kann. Und das sind dann eben so Themen wie die Betriebsgründung, das Anlegen neuer Beetflächen, Bezugsquellen für Werkzeuge oder der Do-it-yourself Bau eines Folientunnels. Viele der Themen habe ich mir recht mühsam erarbeitet und warum sollte jeder den gleichen Aufwand betreiben müssen. Ich freue mich einfach riesig, wenn mir Besucher meines Blogs und Hörer meines Podcasts schreiben, dass Ihnen mein Material geholfen und ihnen Mut gemacht hat, selbst ein ähnliches Projekt zu starten. Mein Ziel ist es, eine Ressource zu schaffen, mit allem was man braucht, um ohne große Investitionen in die Selbstversorgung zu starten oder eine Gemüsegärtnerei aufzubauen.