Julia Post ist Politikwissenschaftlerin und Beraterin für das Thema “Lobbyieren für die gute Sache”. Sie zeigt NGOs und Social Business wie diese ihre Interessen in der Politik vertreten können. Ihre Crowdfunding-Kampagne “Coffee to go again” war im Nachhinein nicht nur der Startschuss ihrer Selbstständigkeit, sondern auch meiner: Die Kampagne, über die ich damals auf Facebook aufmerksam geworden bin, hat mir gezeigt, dass Crowdfunding so viel mehr ist als ein Finanzierungsinstrument. Und seitdem lässt mich dieses Thema bekanntlich nicht mehr los… Für den Blog wollte ich von Julia wissen, wie sie das Potential von Crowdfunding-Kampagnen für die Durchsetzung politischer Forderungen einschätzt:


Update 7.1.2022: Seit diesem Interview hat sich bei Julia viel getan – sie hat einen Selbstlernkurs für politische Lobbyarbeit erarbeitet und berät NGOs und Social Business zu politischer Lobbyarbeit. Wenn dich das Thema interessiert, folg ihr doch auf Lobby4Good bei Instagram!


Julia, du hast mit deiner Kampagne “Coffee to go again” 2016 ja mehrere Ziele verfolgt und wolltest neben den CafébesitzerInnen und VerbraucherInnen vor allem auch die Politik erreichen – damit diese die Rahmenbedingungen für den Ausschank von Kaffee in Mehrwegbechern ändert. Kannst du uns erzählen, wie du das angestellt hast und ob es geklappt hat? Wie hat die Politik auf die Crowdfunding-Kampagne reagiert?

Für die Politik war es – zumindest vordergründig – ehrlicherweise ziemlich unerheblich, dass ich eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne im Rücken hatte. Es war aber für mich die entscheidende (finanzielle) Grundlage, dass ich ehrenamtlich und unabhängig meine Arbeit an dem Projekt fortführen konnte, da ich so Materialien, Bahnfahrten zu Gesprächen und ähnliches finanzieren konnte.
Inhaltlich war ich dann mit meinem Projekt auch bei der Politik erfolgreich: In den städtischen Kantinen Münchens wurden die Einwegbecher abgeschafft. Das ist ein enormer Impact für eine Ein-Frau-Initiative. Außerdem wurde bundesweit eine Hygieneleitlinie angepasst, die den Ausschank in mitgebrachte Gefäße rechtlich wasserdicht geregelt hat. Das klingt erstmal nicht nach dem großen Wurf, ist aber tatsächlich sehr entscheidend für die Bereitschaft der GastronomInnen, bei solchen Projekten mitzumachen, damit ihnen nicht im schlimmsten Fall der Entzug der Konzession droht. Angeschoben wurde das mit der Hygieneleitlinie von Bayern aus, wo ein Runder Tisch im Umweltministerium zu dem Thema einberufen wurde, an dem ich Teilnehmerin bin. Das soll im besten Fall übrigens Schule für die ganze EU machen.
Natürlich sind diese Erfolge immer nur in einem Prozess möglich und kommen nicht von jetzt auf gleich. Ein Baustein davon war die Crowdfunding-Kampagne: Noch mehr Menschen wurden auf das Thema aufmerksam, die Medienberichterstattung blieb am köcheln und ich hatte für alle Aktivitäten eine aufmerksame und unterstützende Crowd im Rücken, ohne die meine Arbeit auf Dauer gar nicht möglich gewesen wäre!

Du bist ja mittlerweile Beraterin für das Thema “Lobbyieren für die gute Sache” und zeigst NGOs und Social Business wie diese ihre Interessen in der Politik vertreten können. Kannst du kurz sagen, was Lobbyarbeit eigentlich ist und was dafür die wichtigsten Instrumente sind?

Lobbyarbeit ist ganz allgemein die Vertretung und Artikulation von Interessen. Und die sind natürlich von Interessengruppe zu Interessengruppe sehr unterschiedlich, ich sage nur Öko-Bäuerin, Bauernverband und ein Konzern wie Bayer. Aber genau die Vielfältigkeit und der Austausch von Interessen zeichnet unsere pluralistische Gesellschaft aus und verhilft dem politischen System auch zu Legitimität. Denn die Einbeziehung möglichst vieler Interessen bzw. Interessengruppen verhilft dann den ausgehandelten Kompromissen zwischen diesen Gruppen zu einer breiten Basis an Zustimmung und leistet damit einen Beitrag zur Stabilität unseres politischen Systems. Deshalb kann ich nur alle, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen, dazu ermutigen, sich in diese Aushandlungsprozesse einzubringen und sich nicht von dem „bösen“ Wort Lobbyismus abschrecken zu lassen. Denn sonst ist das Feld ja gleich, sozusagen kampflos, der anderen Seite überlassen. Dazu gibt es auch ein passendes Sprichwort bei mir in der Branche: „Wer nicht mit am Tisch sitzt, landet auf der Speisekarte!“
Klassische Instrumente im Lobbying sind natürlich Positionspapiere, aber auch Hintergrundgespräche mit einzelnen Politiker*innen, Veranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit oder Monitoring. Was im Einzelfall Sinn macht und wen man genau auf welcher Ebene erreichen will, dafür lohnt sich vorab eine Analyse.

Dein Firmenname lautet ja “Open Your Window”, was vom sog. “window of opportunity” abgeleitet ist: In der Politikwissenschaft bezeichnet man damit einen günstigen Zeitpunkt für das Platzieren eines Themas. Macht es Sinn, mit einer Kampagne ein solches “Window of opportunity” abzuwarten? Und wie kann ich das erkennen?

Ich würde eher sagen, man prüft mit einer solchen Kampagne, ob die Zeit reif für das eigene Thema ist und öffnet sozusagen aktiv das Gelegenheitsfenster. Denn ich teste, ob viele Menschen auf das Thema anspringen, ob ein Interesse besteht. Ich kann damit also Agenda-Setting betreiben. Und habe ich erstmal eine Crowd hinter mir, kann daraus ja dann nicht nur ein Kunde oder eine Kundin für ein Produkt werden, sondern eben auch wertvolle Unterstützung für politische Forderungen oder konkrete Aktionen im öffentlichen Raum.

Macht es Sinn, Forderungen an die Politik in einer Pressemitteilung unterzubringen? Oder schreibe ich besser ein Positionspapier?

Lobbyarbeit ist im Gegensatz zu klassischer Öffentlichkeitsarbeit nicht immer nur laut, sondern häufig auch leise: Manchmal will man Themen auch klein machen, ihnen gar nicht so viel Aufmerksamkeit zukommen lassen. Ich glaube aber, dass speziell für unseren Bereich Medienarbeit sehr wichtig ist und unsere Interessen nach wie vor eher mehr Aufmerksamkeit benötigen als weniger. Von daher ist Medienarbeit, bspw. in Form von Pressemitteilungen bestimmt für viele in unserem Sektor ein erster wichtiger Schritt, um Bewusstsein für bestimmte Themen zu schaffen. Will man sich aber ernsthaft als Gesprächspartner in den politischen Diskurs und eigene Lösungsideen einbringen, führt eigentlich kein Weg an einem Positionspapier vorbei. Das ist aber auch ein Prozess. Und wie gesagt: Jeder Fall ist anders. Bei Handlungsbedarf in einer 300-Seelen-Gemeinde werde ich wohl kein Positionspapier verfassen, sondern mich eher mit den Leuten an einen Tisch setzen. Für Änderungen auf Bundesebene funktioniert das nicht.

Beim Crowdfunding sammelt man ja – ähnlich wie bei einer Petition – UnterstützerInnen hinter sich, und kann damit zeigen, dass man “Rückendeckung”, also eine Crowd, hinter sich hat, dass man mit seiner Forderung nicht alleine dasteht. Ich finde, das kann man z.B. an dem Radbahn-Projekt in Berlin sehen. Wie würdest du das bewerten?

Da stimme ich Dir in Teilen absolut zu, das verleiht einem Anliegen ja wieder Legitimität. Die Politikwissenschaft spricht in so einem Fall von „Input-Legitimität“, weil bei der Erarbeitung von den Betroffenen mitgewirkt wurde. Im Gegensatz dazu stellen effektive Lösungen die Output-Legitimität dar: Das Ergebnis, dass allseits auf Zustimmung stößt, sorgt auch ohne vorherige Mitwirkung für Legitimität.
Allerdings ist natürlich zu hinterfragen, wie groß die Crowd sein muss, damit dies als repräsentativ gelten kann. Für Bürger- oder Volksbegehren oder auch Petitionen, die im Deutschen Bundestag eingereicht werden, gibt es jeweils ein notwendiges Quorum. Für eine Petition beim Deutschen Bundestag werden bspw. 50.000 Unterzeichner*innen benötigt, damit sie zugelassen wird. Das ist schon eine ganz andere Hausnummer als 200 oder vielleicht 1.000 Unterstützer*innen bei einer solchen Kampagne. Etwaige gesetzte Ziele wurden willkürlich, zumindest im demokratischen Sinne, festgelegt. Sie basieren ja meist eher auf ökonomischen Überlegungen und einem Kampagnenziel in Euros. Vor diesem Hintergrund kann es dann Sinn machen, den Erfolg von politischen Crowdfunding-Kampagnen von einer bestimmten Anzahl an Unterstützer*innen und nicht von einem bestimmten Betrag abhängig zu machen. Oder zumindest sollte die Finanzierungssumme nicht das einzige Erfolgskriterium für eine Kampagne sein. Meines Wissen wurde dies in Wettbewerben auch schon in Kombination (Unterstützer*innen und Finanzierungssumme) gemacht. Vielleicht könnte das auf den Plattformen eine eigene Kategorie werden, damit das technisch überhaupt möglich wird.

Macht es Sinn, parallel zu einer Crowdfunding-Kampagne noch eine Petition für ein Thema zu starten? Ich würde ja sagen, dass man seine Crowd dann in zwei Richtungen schickt und die Gefahr besteht, am Ende eine nicht erfolgreiche Kampagne und eine nicht erfolgreiche Petition zu haben, weil die UnterstützerInnen nicht beides unterstützen.

Das sehe ich ähnlich. Ich glaube, das kann aufeinander aufbauen und dient dann auch wieder dazu, eine Community aufzubauen, für Themen zu sensibilisieren und so immer weiter politischen Druck aufzubauen.

Ich habe die Plattform welobby gefunden, die Crowdfunding und Lobbyismus verbinden will. Momentan hört es sich so an, als könnte man die Lobbyarbeit einfach an eine Plattform abgeben – aber beim Crowdfunding kommt es ja eigentlich darauf an, dass die UnterstützerInnen direkt mit den ProjektinitiatorInnen in Kontakt kommen. Kann man Lobbyarbeit einfach so an eine Plattform abgeben?

Die Idee von welobby ist, soweit ich das verstanden habe, dass sich Interessenvertretung jeder und jede leisten können soll und über das Crowdfunding Transparenz und Legitimität entstehen soll. Wobei ich in Bezug auf Legitimität auch nochmal auf meine Ausführungen weiter oben verweisen möchte. Das finde ich grundsätzlich eine super Idee.
Ich habe allerdings, auch in meinem eigenen politischen Ehrenamt, die Erfahrung gemacht, dass gesellschaftliche Themen auch vom zwischenmenschlichen Austausch, von der Begegnung leben. Denn vor allem in unserem Bereich leben diese Themen vom Herzblut und der Authentizität der Menschen, die partizipieren und Einsatz zeigen. Es ist auch eine wunderbare Erfahrung, wenn man gemeinsam in einer Gruppe jahrelang für etwas kämpft, bei Wind und Wetter Unterschriften sammelt und dann auf den Erfolg anstoßen kann. Da passiert noch so viel mehr als nur der Output, der dann am Ende rauskommt. Und wir benötigen als Gesellschaft auch den Diskurs, der vorab in solchen Gruppen stattfindet.

Und gerade weil Du „abgeben“ sagst: Ich glaube genau damit würde etwas Wesentliches verloren gehen. Das lässt sich nicht digital ersetzen. Sehr wohl kann das Digitale aber eine Ergänzung sein. Ein sehr schönes, aktuelles Beispiel, bei dem ich auch live dabei war, ist der Radentscheid München, der 160.000 Unterschriften für zwei Bürgerbegehren gesammelt hat und via Startnext für eine Radl-Demo Geld eingesammelt hat. Da ging das Gruppenerlebnis einerseits und die Mobilisierung – und auch Finanzierung – im Netz andererseits Hand in Hand. Ohne den persönlichen Kontakt und das Gefühl, Teil einer größeren Gruppe zu sein, wird es meiner Meinung nach schwierig Unterstützer*innen bzw. Spender*innen für solche Projekte zu gewinnen.

Hast du einen Tipp vor allem für Projekte aus dem landwirtschaftlichen Bereich, wie sie ihre Interessen in der Politik am besten vertreten können?

Ich gestehe, dass ich keine Expertin für Landwirtschaftspolitik bin. Aber aus meiner Lobby-Perspektive ist das größte Problem der Branche, dass sie nicht mit einer Stimme spricht. Das schwächt die Durchsetzungskraft gegenüber der Politik ungemein und verschafft den starken Organisationen in der Branche natürlich erhebliche Vorteile. Von daher sehe ich da innerhalb der Community Bedarf zur Organisation und ich fürchte, da werden erstmal innerhalb der eigenen Gruppe Standpunkte geklärt werden müssen. Ich habe das mal in einem Blogartikel am Beispiel Mindestlohn und meinem Projekt Coffee To Go Again ausführlich beschrieben, das ließe sich mit Sicherheit auf viele Punkte in der Landwirtschaft übertragen.


Spannend, oder? Auch das Hofhuhn-Projekt von Ingmar Jaschok (das ich euch hier vorgestellt habe, und das auf jeden Fall noch ausgewertet wird!) hat ja einen Finanzierungsbedarf mit einer eindeutigen, politischen Forderung nach einer tiergerechten Hühnerhaltung “ohne Kompromisse” verbunden. Die vielen Unterstützungen – finanzieller Art, aber auch durch Teilen/Weitersagen und Kommentare/Feedback – haben gezeigt, dass das Thema jetzt auf die Agenda gehört.