Genussrechte haben, anders als es der Name vermuten lässt, nicht zwingend etwas mit Lebensmitteln zu tun, werden aber gerne von Unternehmen aus der Landwirtschaft und der Lebensmittelbranche genutzt, um sich Kapital zu beschaffen. Das kommt in diesem Fall dann nicht von der Bank, sondern von Privatpersonen. Diese zeichnen Genussrechte zu vorher festgelegten Konditionen (Laufzeit und Zinsen) und sind dadurch am Erfolg des Unternehmens beteiligt – sowohl am Gewinn, als auch am Verlust, nicht aber am Wert des Unternehmens und am Willenbildungsprozess.

Gernot Meyer betreut seit über 15 Jahren ökologische und nachhaltige Betriebe bei der Ausgabe von Genussrechten und hat mit rechtlicher Unterstützung des Rechtsanwalts Ernst F. Lauppe mit genussrechte.org eine Plattform aufgebaut, die sowohl als Informationsportal als auch als Kampagnenseite fungiert. Seitdem ich über Marlene Hinterwinkler das erste Mal mit Genussrechten in Kontakt gekommen bin, glaube ich, dass die „Genussrechtswelt“ und die „Crowdfundingwelt“ viel voneinander lernen können – und deshalb habe ich mich besonders gefreut, das Gernot mir bei einem Kaffee ein bisschen mehr über seine Projekte erzählt und mir auch einige Fragen für den Blog beantwortet hat:

Wie ich in der Einleitung geschrieben habe, ist man bei Genussrechten am Gewinn und Verlust des Unternehmens beteiligt. Was heißt das konkret für mich als Anlegerin/Unterstützerin? Muss ich nachfinanzieren, wenn das Unternehmen in eine Krise gerät?

Grundsätzlich werden bei Genussrechten einmal im Jahr die vertraglich vereinbarten Zinsen ausgezahlt. Die Zinsen orientieren sich immer am Nominalwert – wenn jemand für 1000€ Genussrechte gezeichnet hat, ist das der Nominalwert. Durch diese Zinszahlungen sind die AnlegerInnen also am Gewinn des Unternehmens beteiligt. Einige Projekte haben auch einen Basiszins und einen Bonuszins, um diese Gewinnbeteiligung auszuzahlen.

Die Zinsen werden immer aus dem Gewinn vor Steuern ausgeschüttet – gibt es einen solchen Gewinn nicht, werden auch keine Zinsen ausgeschüttet. Schreibt das Unternehmen Verluste, kann der Nominalwert der Anlage abgewertet werden – aus den 1000€ werden dann z. B. 800€. Eine Nachschusspflicht gibt es aber nicht – als Anlegerin kannst du also maximal über die Höhe deiner Anlage am Verlust beteiligt werden.

Ist diese Verlustbeteiligung auch der größte Unterschied zum Crowdinvesting?

Ja. Die meisten Crowdinvesting-Plattformen bieten Anlagen als Darlehen mit qualifiziertem Rangrücktritt an. Diese Darlehen sind zwar nicht an einem Verlust beteiligt; bei Zins- und Rückzahlungen der Darlehen wird jedoch geprüft, ob diese Zahlungen das Unternehmen in Insolvenzgefahr bringen. In diesem Falle erfolgt keine Zahlung an den Anleger. Falls die Krise größer wird oder der Betrieb Insolvenz anmeldet, kann das Darlehen ebenso wie die nicht gezahlten Zinsen zu 100% ausfallen.

Wer Genussrechte zeichnet, ist nicht am Willenbildungsprozess des Unternehmens beteiligt. Was heißt das genau?

ZeichnerInnen von Genussrechte haben rechtlich kein Mitspracherecht in Firmenangelegenheiten, sondern nur ein Informationsrecht. Das unterscheidet Genussrechte z. B. von Genossenschaftsanteilen, denn Mitglieder einer Genossenschaft haben über die Generalversammlung auch immer Anteil am Willenbildungsprozess.

Marlene hat mir in unserem Interview erzählt, dass – wie beim Crowdfunding – durch eine Genussrechtskampagne auch eine Crowd entsteht, die den Betrieb langfristig begleitet, unterstützt, bewirbt und teilweise auch weitere Genussrechte zeichnet. Hast du vielleicht ein Beispiel, an dem man das gut sehen kann?

Wir empfehlen den Unternehmen immer, den Genussrechtsbeteiligten die Bildung eines Beirates zu ermöglichen. So werden die UnterstützerInnen also in einem Gremium zusammengefasst. Wir betreuen schon seit vielen Jahren ein Projekt, das veranstaltet einmal im Jahr einen Brunch für alle, die Genussrechte gezeichnet haben, und informiert dabei über Zahlen, die Geschäftsentwicklung, neue Projekte im Betrieb usw. Die Gruppe derer, die dort kommt, ist sehr konstant und hat sich zu einem sehr wichtigen Forum entwickelt. Ihnen werden neue Ideen vorgestellt, man fragt nach Feedback, bekommt guten Rat und im Krisenfall, der auch einmal eingetreten ist, waren diese Menschen sehr solidarisch, haben vorübergehend auf ihre Zinsen verzichtet und geholfen, diese Krise zu meistern. Das ist ein schönes Beispiel für eine engagierte Crowd, und sicherlich auch eine Idee, die man auf das Crowdfunding übertragen kann. Zudem lernt sich diese Crowd untereinander persönlich kennen und schätzen, sie bilden eine sehr persönliche Community um das Unternehmen herum.

Für welche Art von Projekten/Unternehmen eignen sich Genussrechte? Auf eurer Plattform habe ich viel von Wachstumsfinanzierung gelesen – für Startups oder neue Projekte ist das also nicht geeignet?

Genussrechte sind eigentlich aus dem Wunsch entstanden, KundInnen oder auch MitarbeiterInnen an Unternehmen zu beteiligen. Bei den meisten Projekten sind die UnterstützerInnen also vorher schon mit dem Betrieb verbunden und damit auch in einem persönlichen oder engeren Kontakt. Genussrechte werden deshalb meist für ein Firmenwachstum oder eine Investition genutzt und können dann zu einer engeren Kunden- oder Mitarbeiterbindung führen. Wir haben aber auch schon Kampagnen von Unternehmen durchgeführt, die sich eigentlich noch in der Start-up-Phase befinden, z. B. junge Brauereien oder Ladenneueröffnungen. Hier sieht die Kommunikation natürlich ein bisschen anders aus, und man versucht mit der Kampagne dann auch neue KundInnen zu gewinnen. Grundsätzlich sollten Genussrechte dafür genutzt werden, Investitionen zu finanzieren, und nicht, um finanzielle Löcher zu stopfen. Und: Genussrechte sind langfristig auch wie Kredite, die das Unternehmen wieder zurückzahlen muss. Die Laufzeiten sind zwar länger als z. B. beim Crowdinvesting, und da es sich um eine Mindestlaufzeit handelt, die zur Beendigung einer aktiven Kündigung einer Seite bedarf, lassen in der Praxis viele AnlegerInnen ihr Geld auch sehr langfristig in den Unternehmen. Dennoch muss es seitens der Betriebe einen Plan für die Rückzahlung geben.

Genussrechtskampagnen kann man sehr individuell gestalten – Zinsen, Laufzeit usw. Kannst du dazu etwas sagen? Gibt es eine Mindestdividende?

Es gibt keine Mindestdividende, einige Kampagnen arbeiten auch mit eher niedrigen Zinssätzen von 1,5%. Hier suchen die UnterstützerInnen dann i.d.R. auch keine Anlagemöglichkeit, sondern wollen ihr Geld einfach für sinnvolle Projekte zur Verfügung stellen. Ansonsten kann man die Kampagnen – innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen – recht frei gestalten mit Mindestlaufzeiten und Zinshöhen. Wir achten übrigens sehr darauf, dass die Unternehmen die Verwaltung der Genussrechte selbst übernehmen können inkl. der jährlichen Zinszahlungen, dafür haben wir auch eine Software entwickelt. Sie sind also nach der Kampagne nicht mehr auf uns als Plattform oder Beratungsunternehmen angewiesen.

Ich habe gesehen, dass einige der laufenden Kampagne auf eurer Plattform eine Verzinsung in Geld und/oder in Naturalien anbieten. Ist das immer beides möglich? Und wie sieht eine Verzinsung in Naturalien in der Praxis konkret aus? Bekomme ich dann einmal im Jahr ein Paket mit Lebensmitteln?

Ja, man kann Zinsen in Bar und auch in Naturalien anbieten. Während die Barverzinsung auf das Konto des Unterstützers überwiesen wird, werden die Naturalzinsen ganz unterschiedlich ausgegeben. So gibt es einige Firmen oder Betriebe, die einmal im Jahr ein Paket mit Produkten verschicken oder zur Abholung bereitstellen. Andere arbeiten mit Gutscheinen, die man dann im Onlineshop oder in Verkaufsstellen einlösen kann. Die Barzinsen sind oft etwas niedriger als die Naturalzinsen. Es gibt auch Projekte, die bieten Zusatzrenditen an, etwa generelle Einkaufsrabatte für die UnterstützerInnen.

Kannst du dir eine Konstellation vorstellen, in der Solidarische Landwirtschaften oder Unternehmen, die auf dem Solawi-Modell beruhen, Genussrechte nutzen können?

Solawis brauchen, vor allem wenn es um Neugründungen geht, ja auch Geld, um Betriebsmittel anzuschaffen. Hier könnte ich mir vorstellen, dass auch eine Solawi Genussrechte ausgibt, um das Startkapital zusammenzubekommen, und dann die Rückzahlung und die Zinszahlungen über die Mitgliedsbeiträge finanziert. Momentan ist mir aber noch kein Projekt bekannt, das so vorgegangen ist. [Anm. der Redaktion: In der Kampagne der Solawi Ackerilla in Leipzig werden derzeit Nachrangdarlehen für die Anschaffung der Betriebsmittel aufgenommen].

Wie läuft so eine Genussrechtskampagne normalerweise ab? Ich gehe davon aus, dass sie – ähnlich wie bei einer Crowdfunding-Kampagne – auch kräftig beworben werden muss? Wie wichtig sind dabei persönliche Treffen zwischen Unternehmen und Crowd?

Die meisten Projekte sind ja bereits etablierte Unternehmen, die für die Kampagne ihre Kunden aktivieren. Dies erfolgt immer über Informationsveranstaltungen und persönliche Gespräche, auch schon im Vorfeld der Kampagne. Die Projekte erstellen zusätzlich auch Flyer oder kleine Informationsbroschüren. Dann arbeiten wir viel über klassische PR oder auch Anzeigen in Fachmagazinen und zunehmend auch mit Social Media Marketing. Das ist von Projekt zu Projekt unterschiedlich. Bei Projekten, die bereits mehrere Genussrechtskampagnen gemacht haben, wirken zudem die „alten“ Unterzeichner auch sehr gut als MultiplikatorInnen – da ist in den besten Fällen gar nicht mehr viel Marketing notwendig.


Das Gespräch mit Gernot hat mir gezeigt, dass auch Genussrechte eigentlich Crowdfunding sind: Die Finanzierung konkreter Projekte mit Hilfe einer Crowd aus privaten Personen. Auch die Kampagnen haben gewisse Ähnlichkeiten, ebenso wie das Engagement der Crowd für „ihr“ Projekt. Besonders spannend finde ich die Beiräte, die Gernot und Herr Lauppe mit initiiert haben. Mir selber fällt leider häufig auf, dass Crowdfunding-Projekte ihre (mühsam erarbeitete) Crowd, die ihnen so viel Vertrauensvorschuss gegeben hat, nach dem Ende der Kampagne nicht mehr informieren – was schade ist, und sehr viel Potential vergibt. Auch wenn das Wort „Beirat“ nicht gerade fancy klingt – seine Crowd ein wenig zu institutionalisieren ist ein Aspekt, den ich noch ein bisschen weiter verfolgen werde…

Wer sich jetzt noch weiter über Genussrechte informieren will: Auf genussrechte.org finden sowohl Anlegerinnen als auch Betriebe und Unternehmen viele Informationen und sogar ein kleines Wiki. Im vorletzten Blogbeitrag findest du übrigens eine allgemeine Übersicht über alternative Finanzierungsformen, geschrieben von der Rechtsanwältin Eva Straube.