Nach dem Interview mit Nico von Planting Costa Rica hatte ich ja versprochen, das Thema Kaffeepreise noch einmal vertieft zu behandeln. Die folgende Recherche war dann wie ein Fass ohne Boden – mit jedem Gespräch kam mindestens ein neuer Aspekt hinzu, den ich noch nicht betrachtet hatte, das Thema wurde immer komplexer und vielschichtiger.
Tatkräftig unterstützt wurde ich dabei von Andreas Postrach von der Münchner Rösterei gangundgäbe und von Lukas Harbig von cumpa Spezialitätenkaffee. Sie haben in wirklich stundenlangen Diskussionen all ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit mir geteilt, den Artikel kommentiert und mit mir zusammen nachgedacht.
Mit dem Thema Kaffee kann man unzählige Bücher und Magazinseiten füllen – ich versuche, hier die wichtigsten Eckpunkte zu skizzieren, damit du einen Einstieg in das Thema Kaffeepreise findest, dir zukünftig eine bessere Meinung bilden und von hier aus weiterlesen kannst, wenn du das Thema vertiefen willst. Dafür musste ich manchmal Sachverhalte vereinfachen oder verkürzen – trotzdem ist es ein sehr langer Artikel
geworden.
Good to know: Alle genannten Preise sind in USDollar pro Pound, das entspricht etwa 453g, also etwas weniger als ein deutsches Pfund. Wenn du dich auf anderen Websites umsiehst, achte immer auf die Einheiten, manchmal wird der Kaffeepreis auch in $/kg angegeben. Beim Rösten verliert Kaffee übrigens 15-20% seines Gewichts – 1kg Rohkaffee ergeben also etwa 800g gerösteten Kaffee.
Vorweg: Steuern in Deutschland
In Deutschland zahlen wir 7% Mehrwertsteuer auf gerösteten Kaffee – und zusätzlich noch Kaffeesteuer (die es nur bei uns gibt!). Diese beträgt 2,19€ pro Kilo Kaffee. Das heißt: Wenn du ein Kilo Kaffee für 10€ kaufst (das solltest du zu diesem Preis am Besten nie tun!), dann sind darin fast 3€ Steuern enthalten.
Weltmarktpreis, fair trade und direct trade
Such im www mal „Weltmarktpreis Kaffee“. Na, bleibt dir da auch der Espresso im Hals stecken? Der Kaffeepreis sinkt, liegt aktuell bei etwa 0,92$ (0,83€) pro Pound. Kaffee ist ein Spekulationsobjekt, vielfach deckt der Erlös nicht mehr die Kosten der Bauern. „Wenn das so weitergeht, gibt es in 10 Jahren keinen Kaffee mehr, weil die Bauern den Kaffeeanbau aufgeben und Pflanzen anbauen, die man zu Biokraftstoffen verarbeiten kann“, sagte kürzlich ein Barista zu mir. Der Kaffeeanbau wird weltweit überwiegend von Kleinbauern betrieben, viele haben nur wenige Hektar Land und liefern die Kaffeekirschen an Aufbereitungsanlagen, die daraus grünen Kaffee herstellen. Niedrige Kaffeepreise sind für sie also existenzbedrohend.
Die Lösung lautet fair trade Kaffee? Leider nicht. Denn fair trade bedeutet einfach nur, dass Kaffeebauern einen garantierten Preis (den sogenannten fair trade Preis) für ihren Kaffee bekommen – derzeit liegt der bei etwa 1,40$. Ich würde sagen, das ist in etwa vergleichbar mit einem gesetzlichen Mindestlohn: Sichert die Existenz ab, schafft eine gewisse Sicherheit, macht aber weder Investitionen noch Innovationen möglich.
Fair trade bedeutet übrigens nicht zwangsläufig direct trade, also direkter Handel mit Farmern/Kooperativen. Auch beim Direkthandel gibt es große Unterschiede, aber diejenigen, die direct trade ernst nehmen, pflegen langjährige Beziehungen zu den Kaffeeproduzenten, besuchen die Farmen, arbeiten dort mit, vermitteln Know How auf Augenhöhe. Du kannst dir vorstellen, dass das mit einem Aufwand verbunden ist, den nur wenige KaffeeeinkäuferInnen bereit sind zu investieren… (Positivbeispiele zeige ich dir unten!) Trotzdem wäre es eigentlich notwendig, denn jedes Land, vielleicht sogar jedes Anbaugebiet, hat seine eigenen Bedingungen und damit verbunden ja auch unterschiedliche Lebenshaltungskosten – die ein pauschaler Rohkaffeepreis natürlich niemals berücksichtigt.
Kaffeepreise – Green Price per Pound und Return to Origin
Auf der Website Transparentcoffeetrade, die ich dir sehr empfehlen kann, wenn du dich tiefer in das Thema Kaffeepreise einlesen willst, bin ich auf die Maßeinheit „Return to Origin“ (RTO) gestoßen. Sie wird zusätzlich zum Green Price per Pound paid to the grower (GPP/Preis für Rohkaffee pro Pound, die an den Farmer/die Kooperative gezahlt wird) angegeben. Return to Origin gibt (in %) den Anteil am Verkaufspreis des gerösteten Kaffees an, der beim Farmer/bei der Kooperative ankommt. Röstereien, denen es besonders wichtig ist, faire Kaffeepreise zu zahlen und den Kaffeebauern einen angemessenen Anteil an der Wertschöpfung zu geben, können sich auf dieser Seite registrieren. Die RTO in diesem Spitzensegment erreichen zwischen 20 und 30% – schau dir mal die Tabelle der registrierten Röstereien an, um einen Eindruck zu bekommen!
Ergänzung am 2.7.2019: Ende Juni 2019 haben sich einige Akteure der Spezialitätenkaffeeszene zu “The Pledge. A common code for transparency reporting in green coffee buying” zusammengeschlossen. Auf der Seite transparency.coffee kannst du sehen, welche Röstereien sich bisher angeschlossen haben.
Vorfinanzierung
Neben dem GPP, dem RTO und der Qualität der Handelsbeziehung gibt es noch einen weiteren Indikator, auf den wir einen Blick werfen müssen: Die Finanzierung. Kaffee wird einmal im Jahr geerntet, aufbereitet und dann verschifft. Zwischen der Ernte und der Ankunft des Rohkaffees in einer Rösterei kann durchaus ein halbes Jahr liegen. Dabei sind hohe Summen im Spiel, die Kaffeebauern erhalten ihr Geld also nur einmal im Jahr. Auf dem „normalen“ Kaffeemarkt gehen die Bauern dabei komplett in Vorleistung. Importeure wie Quijote, Flying Roasters oder cumpa dagegen finanzieren 60-100% der Ernte mit einem zinslosen Darlehen an die Bauern vor – ein deutlicher Unterschied!
Transparenter Kaffeehandel am Beispiel von Quijote und Flying Roasters
An den beiden Kollektiven* Quijote (Hamburg) und Flying Roasters (Berlin) kommt nicht vorbei, wer sich ein bisschen mit Kaffeepreisen beschäftigt. Beide Unternehmen importieren Kaffee direkt von demokratisch organisierten kleinbäuerlichen Organisationen, die ihren Kaffee biologisch anbauen. Quijote strebt einen RTO von 29-34% an und zahlt aktuell etwa den doppelten fair trade-Preis (laut Website 2,90$ für Arabica, 2,50$ für Robusta) – bei 60% Vorfinanzierung der Ernte durch ein zinsloses Darlehen. Flying Roasters gibt 2,85$ als Mindestpreis an, bei 100%iger Vorfinanzierung der Ernte durch zinslose Darlehen. Beide Unternehmen importieren Kaffee und rösten auch selbst.
Aber was besonders toll ist: Sie legen ihre Zahlen komplett in sog. Transparentberichten offen. Dort kannst du sehen, wie sich der Preis des gerösteten Kaffees zusammensetzt – centgenau, mit allen Posten. Wenn du nur ein paar Minuten Zeit hast, schau dir unbedingt einen solchen Bericht an. Du findest bei Quijote auch alle Verträge mit Kaffeekooperativen, eine Dokumentation der Besuche auf den Farmen und weitere Informationen – sogar die Röstprofile. Sie bezeichnen sich selber als „Open Source Kaffeerösterei“, Flying Roasters ist auch Teil der roasters united. Dass unter diesen Bedingungen importierter und in Deutschland zu fairen Löhnen gerösteter Kaffee keine Mondpreise nach sich zieht, kannst du übrigens mit Blick in den Quijote-Onlineshop feststellen: Die Kaffees kosten dort zwischen 11,50 und 12,00€ für 500g, das sind etwa 30 Cent pro Tasse.
*Beide Unternehmen sind als Kollektiv organisiert, also hierarchiefrei mit gleichen Löhnen für alle MitarbeiterInnen. Sie bezeichnen sich als nichtkapitalistische Unternehmen, Gewinne werden reinvestiert oder gespendet.
Microlots, single origin und blends – wie wird der Kaffee eingekauft?
Bei Kaffee unterscheidet man grob zwischen Microlots (der Kaffee kommt von einer Farm), single origin (der Kaffee kommt von verschiedenen Farmen aus einer Region) und blends (der Kaffee stammt von verschiedenen Farmen mitunter auch aus verschiedenen Regionen/ Ländern).
Im Spezialitätenkaffeesegment sind Microlots, also farmreiner Kaffee, sehr beliebt. Wenn du einen Kaffee kaufst, der von einem Microlot stammt, ist in der Regel der Name des Bauern/der Bäuerin auf der Verpackung angegeben. Werden Microlots gekauft, bekommt – wenn alles gut läuft – genau dieser Farmer einen guten Kaffeepreis – das kann zu Neid oder einem Ungleichgewicht führen oder Bauern bevorzugen, die vielleicht eine Farm in besserer Lage haben, über mehr KnowHow oder finanzielle Mittel verfügen. Es fördert aber das Bewusstsein für Kaffeequalität – für Microlots werden aufgrund der Qualität deutlich höhere Preise gezahlt. Und herausragende Qualität (wie auch bessere Anbaubedingungen und Bezahlung der Produzenten) eines Kaffees ist für Röstereien ein wichtiges Argument gegenüber den KundInnen, die deshalb bereit sind, mehr zu zahlen und Kaffee mehr wert zu schätzen.
Das Konzept von Microlots ist übrigens in vielen Anbauregionen gänzlich neu, weil dort seit Jahrhunderten der Kaffee aller Bauern zusammen vermarktet wird.
Quijote und Flying Roasters kaufen den Kaffee bewusst bei Kaffeekooperativen ein, mit dem Ziel, eine Gemeinschaft/eine Region zu stärken. Sie rösten daher überwiegend blends und beziehen keinen Kaffee aus Anbauregionen, in denen es keine kooperativen Vermarktungsstrukturen gibt. Kaufen sie Microlots, dann müssen diese i. d. R. über die Kooperativen vermarktet werden.
Kaffeekooperativen
Es gibt allerdings auch Anbauregionen, in denen noch keine kollektiven Strukturen bestehen. Der Aufbau einer Kaffeekooperative ist aufwendig und dauert viele Jahre, denn die beteiligten Bäuerinnen und Bauern müssen ja nicht nur Vertrauen untereinander aufbauen, sondern zwischen den entlegenen Kaffeeplantagen teilweise mehrstündige Fußmärsche zurücklegen. In solchen Regionen kann Kaffee manchmal nur direkt bei den FarmerInnen gekauft werden – oder bei sehr jungen und dadurch vielleicht auch instabilen Kooperativen. Kooperativen unterscheiden sich auch sehr in ihrer Größe – einige haben bei Gründung nur 15 Mitglieder, große Kooperativen dagegen über 2000. Sie entstehen unter ganz unterschiedlichen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Begebenheiten und müssen sich nicht selten gegen andere Interessengruppen behaupten. Sie haben aber für die einzelnen Bauern, die nur wenige Hektar Land bewirtschaften und ihren Kaffee niemals alleine vermarkten könnten, eine wichtige Funktion und unterstützen z. B. bei Logistik, Zertifizierungen und Export. Sie schaffen aber natürlich auch Abhängigkeiten und sind nicht immer frei von Hierarchien oder Korruption. Du siehst, es gibt kein schwarz-weiß oder entweder-oder, aber es lohnt sich, darüber nachzudenken…
Faire Löhne – hier und da
Weder ein hoher Rohkaffeepreis, noch ein hoher Verkaufspreis für Röstkaffee verhindert, dass im Anbauland und bei uns unfaire Löhne entlang der Wertschöpfungskette gezahlt werden. Nicht nur Erntehelfer sind schlecht bezahlt, auch Lager- und LogistikmitarbeiterInnen, Seeleute und PaketzustellerInnen werden nicht reich von ihrem Job. Und schicke Cafés täuschen auch mich manchmal darüber hinweg, dass auch der Barista, der mir ein Herz auf meinen Milchschaum zaubert, nur den Mindestlohn bekommt.
Und jetzt, nur noch Wasser?
Auf keinen Fall. Das erste, was ich bei der Recherche dachte, ist: Warum steht der RTO eigentlich nicht auf jeder Kaffeetüte? Eine Art Siegel, das uns VerbraucherInnen zeigt, wieviel von unserem Geld tatsächlich bei den Bauern landet (wäre übrigens auch für andere Produkte sehr sinnvoll!).
Bis es soweit ist, kannst du beim nächsten Kaffeekauf ja einfach mal fragen,
• wie lang die Handelskette ist und ob der Kaffee direct trade ist
• wie hoch der RTO ist und welchen Kaffeepreis der Röster dem Bauern bezahlt hat
• wie das mit der Vorfinanzierung läuft
• ob der Kaffee eher von Kleinbauern stammt oder auf großen Plantagen (wie etwa in Brasilien) angebaut wurde.
Generell würde es mich freuen, wenn der Artikel dich dazu motiviert, deinen Kaffee zukünftig bei denen zu kaufen, die jeden Tag viel Aufwand, Gedanken, Zeit, Energie und KnowHow investieren, um diesen Kaffeemarkt zu einem besseren Ort für uns alle zu machen.
Ein paar davon habe ich dir ja vorgestellt, weitere Menschen, Röstereien und Cafés findest du über die weltweite Kaffeekarte und die Facebook-Community von Thirdwavewichteln. Mit Teikei Coffee gibt es sogar Kaffee, der nach den Prinzipien der Solidarischen Landwirtschaft erzeugt wird. Ich persönlich behandle Kaffee übrigens tatsächlich wie ein Genussmittel, das er ja eigentlich auch ist – wenig, dafür nur gutes Zeug (und niemals to go)!
Fotos: Die Fotos (mit Ausnahme der Kaffeetassen) stammen von Planting Costa Rica – danke Nico, dass ich sie für diesen Blogbeitrag nutzen darf!
Und: Ich musste die Kommentarfunktion abschalten, weil hier so viel Spam unter dem Artikel landet. Wenn du Feedback hast, schreib mir gerne eine Mail!
Hi Mona, danke für diesen gründlich recherchierten Artikel! Krass, wieviel Arbeit du in deine Artikel steckst. Journalistischer Content auf sehr hohem Niveau. Hut ab!
Auf einen Aspekt bin ich gestoßen, als ich vor einer Weile überlegt habe, ob es überhaupt fairen Kaffee gibt: Trotz engagierter Projekte hier und in den Anbauländern, wird es für die Bauern nie mehr als eine Existenzgrundlage geben können, solange die Veredelung den Bauern abgenommen wird. Mit Rohkaffee kann man nicht viel verdienen, wie du gut erklärt hast. Die eigentliche Wertschöpfung passiert durch die Röstung. Und die findet zu 100% hierzulande statt. Würde man den Bauern das Veredeln/Weiterverarbeiten erlauben, dann könnten sie von ihrem Produkt gut leben. Aber Porsche und Audi würden womöglich in Europa weniger Autos verkaufen. Daher sollte man wohl lieber alles lassen wie es ist.
Danke, Linus, für das Lob für den Artikel. Das freut mich sehr.
Die Sache mit der Veredelung ist: In der Spezialitätenkaffeebranche gilt gerösteter Kaffee nach 6 Wochen als “alt”. Natürlich kann man ihn noch trinken, aber er büßt eben an Qualität ein. Jetzt importiert man grüne Bohnen, lagert den Kaffee und röstet bei Bedarf. Würde man die gerösteten Bohnen importieren, wären sie schon “alt” und weniger lagerfähig, wenn sie bei uns ankommen. Und dann bekommt man für den gerösteten Kaffee auch nicht mehr den Preis, den er jetzt erzielt. Das ist zumindest mein jetziger Stand. Aber schau dir mal “Angelique’s finest” an – ein Kaffee komplett aus Frauenhand, der auch in Ruanda geröstet wird. Und: Kennst du das Projekt fairafric? Die versuchen das mit Schokolade – Verarbeitung im Herkunftsland und damit Wertschöpfung im Anbauland vergrößern. Es ist aber ein recht steiniger Weg…
Hi Mona, ja ich weiß, dass Kaffee nach der Röstung nicht lange lagern sollte. Aber derartiger Kaffee macht ja nur einen winzigen Bruchteil des gesamten Kaffeeumsatzes aus. Der meiste Kaffee wird (zu heiß und kurz) geröstet und lagert dann, bis irgendwann im Supermarkt landet. Und den meisten Kaffeetrinkern ist das auch recht egal.