Heute mal ein sehr persönlicher Artikel, der ziemlich lang geworden ist. In Vorbereitung für die Podcast-Folge über Crowdfunding, zu der mich Ingmar eingeladen hat (und die wahrscheinlich am kommenden Samstag veröffentlicht wird), habe ich ein bisschen über meine Vision und Motivation für meine Arbeit und das, was ich hier mit dem Blog erreichen will, reflektiert. Wenn mich Leute fragen, was ich mache, dann sage ich meistens sowas wie „Ich bin Crowdfunding-Beraterin“, und nicht selten halten sie mich dann für eine Finanzierungsexpertin, was ich nicht bin. Ganz eigentlich bin ich Historikerin, die sich im Studium vor allem mit Sozialgeschichte befasst hat und die heute wahrscheinlich in einem Museum arbeiten würde, wäre sie 2008 nicht von der Welle der aufkommenden Handmade-Bewegung erfasst worden…

Am Anfang war DaWanda

2008 habe ich mitten in der Lernphase für mein Uni-Examen in einer Wohnzeitschrift einen ganz kurzen Artikel über die damals noch junge Plattform DaWanda gefunden. Diese Plattform ermöglichte kleinen Labels, GestalterInnen und KunsthandwerkerInnen ohne viel Aufwand einen eigenen Online-Shop zu eröffnen und damit recht unkompliziert ihre Produkte direkt an KundInnen zu verkaufen. Ich war total fasziniert und hatte innerhalb weniger Tage auch so einen Shop angelegt. Mehr noch als die Möglichkeit, meine eigenen gewerkelten Produkte endlich verkaufen zu können, hat mich aber der unmittelbare Kontakt fasziniert, der durch die Plattform plötzlich möglich war: Ich konnte direkt bei Designern einkaufen, mich mit ihnen austauschen, nachfragen, vielleicht auch Ideen oder Wünsche äußern. Noch während der Zeit im Wissenschaftsmanagement an der Uni habe ich dann mit Freundinnen zusammen die ersten Koffermärkte organisiert – Designmärkte, auf denen die Produkte in alten Koffern präsentiert und aus diesen verkauft wurden. Kein großer Standaufbau, überschaubare Kosten auf allen Seiten, maximaler Kontakt zwischen KundInnen und ProduzentInnen und jede Menge Raum für Geschichten. Damit sich diese Art der Märkte schnell verbreitet, haben wir damals einen Blog angelegt, unser Wissen geteilt und andere Koffermarktorganisatorinnen unterstützt. Zu einigen habe ich noch heute Kontakt, verfolge seitdem die Entwicklung ihrer Unternehmen und kreativen Arbeiten.

Digital und analog – Online-Shop und Laden

2011 bin ich von  Göttingen nach München gezogen. Ich kannte in dieser Stadt fast niemanden, aber über das Handmade-Netzwerk fand ich sehr schnell Freundinnen, und bereits ein Jahr später hielten wir zu siebt die Schlüssel für unseren eigenen Laden in der Hand. Damals gab es bereits  erste sog. „Fachvermietungen“, also Läden, in denen sich Kreative Flächen mieten und dort ihre Produkte verkaufen konnten. Wir wollten es ein bisschen anders machen – nicht die Ware in Fächern präsentieren, sondern einen richtigen Laden nur mit überwiegend lokal gefertigten Handmade-Produkten füllen. Hinter dem Verkaufstresen: Die Designer, Gestalterinnen, Kunsthandwerker, die die Produkte hergestellt hatten. Der Laden war also – neben den Online-Shops auf DaWanda und Etsy – eine Verkaufsmöglichkeit im analogen Leben, ein Ort, an dem KundInnen direkt mit den Erzeugern der Produkte in Kontakt treten konnten, Sonderanfertigungen besprechen, Preise transparent machen konnten. Nur eben dauerhafter als die Märkte in Göttingen und die zwei Pop-up-Ausstellungen, die wir vor der Ladeneröffnung organisiert hatten. Ich erinnere mich gerne an meine vielen Ladendienste zurück – weil ich wirklich zu jedem Produkt im Laden eine Geschichte erzählen konnte und genau wusste, woher das Produkt kam. Neben der Verbindung von Produzentinnen und Konsumentinnen war mir immer wichtig, dass das Geld ohne große Umwege bei denen ankommt, die das Produkt hergestellt haben. Das prägt mich bis heute:  Bei jeder Anschaffung überlege ich, wo ich den gewünschten Gegenstand direkt beim Hersteller oder der Erzeugerin kaufen kann – online oder offline – und bin dafür auch bereit, einen Umweg zu gehen, länger zu suchen, Lieferzeiten in Kauf zu nehmen.

Erfahrungaustausch und Wertschätzung durch DIY

Die Handmade-Szene war aber auch immer sehr geprägt von Erfahrungsaustausch. Ich beteiligte mich an der Organisation von Konferenzen und abendliche Meetups, kommentierte in Foren oder Facebook-Gruppen. Trotz des Slogans „buy local“ war dieser Austausch übrigens immer international angelegt – vor allem, seit die amerikanische Plattform ETSY auf dem deutschen Markt stärker Fuß fasste. Die Handmade-Bewegung brachte aber nicht nur neue Konzepte und Möglichkeiten von „Direktvermarktung“ von handgefertigten Produkten und ein völlig neues Verhältnis zwischen Produzentinnen und Konsumentinnen mit sich, sondern ist auch untrennbar mit der DIY-Bewegung verbunden. Das Selbermachen, gerne auch zusammen mit anderen, erhöhte zumindest auf meiner Seite das Verständnis und die Wertschätzung gegenüber der Arbeit der anderen Kreativen – und mit dem ersten selbstgenähten Rock zogen auch von anderen Menschen genähte Kleidungsstücke in meinen Schrank ein, für die ich bereit war, deutlich mehr zu bezahlen als im anonymen Fashionstore. Was die neuen Plattformen und der Erfahrungsaustausch außerdem ermöglichten: Auch QuereinsteigerInnen konnten plötzlich Produkte verkaufen, sich einen kleinen Kundenstamm aufbauen, ihre Geschichte weitertragen.

Direktvermarktung und Crowdfunding

2016 bekam ich die Chance, meine bisherigen Erfahrungen auch beruflich zu nutzen und Kreativschaffende bei der Vermarktung ihrer Produkte und Dienstleistungen zu unterstützen. Mein Fokus weitete sich dadurch – bisher hatte ich ja vor allem mit greifbaren Produkten wie Kleidung, Schmuck, Wohnaccessoires, Geschirr und Dekoration zu tun gehabt. Schon eine Weile vorher war ich auf das Thema Crowdfunding gestoßen, hatte selbst erste Projekte unterstützt, ein paar Musikalben von noch jungen Bands gekauft und  war Teil der Crowd spannender Kampagnen, die gesellschaftlich oder politisch etwas bewegen wollten. Als das Thema dann offiziell in unserem Büro diskutiert wurde, musste ich nicht lange überlegen – und griff beherzt zu.

Crowdfunding – direkter Kontakt zwischen Produzentinnen und KäuferInnen

An Crowdfunding faszinierte mich ganz am Anfang das gleiche wie bei meiner Entdeckung von DaWanda 2008 – die Möglichkeit, mit verhältnismäßig wenig Aufwand eine direkte Beziehung zu den eigenen KundInnen aufbauen zu können, Produkte und Ideen direkt zu verkaufen oder vorzufinanzieren. Schon bei den ersten Kampagnen, die ich unterstützte, merkte ich, dass auch Crowdfunding von analogen Formaten flankiert wird, dass Kampagnen z. B. durch kleine Events begleitet werden und sich Projektinitiatorinnen – so wie wir damals mit unseren Märkten – zu Crowdfunding Popup-Stores zusammenschlossen, um gemeinsam ihre Produkte und Ideen zu präsentieren.  Klar, dass neben Infoveranstaltungen auch ziemlich schnell ein monatliches Crowdfunding-Meetup als Ort des Erfahrungsaustauschs gegründet war.

Die Sache mit dem Konsum und dem Müll

Inhaltlich haderte ich allerdings immer stärker mit den Ergebnissen der Handmade-Bewegung. Auch handgefertigte Produkte sind irgendwann Müll, der nicht verrottet, die Rohstoffe werden nicht immer unter fairen und sauberen Bedingungen hergestellt und es wird generell viel mehr gekauft, als eigentlich benötigt wird. Je größer die Plattformen wurden, je mehr Läden und Designmärkte entstanden, desto mehr Aufwand und Budget floss auch ins Marketing. Und in die Entwicklung von Produkten, die eigentlich niemand braucht, und deren Nutzen oder Notwendigkeit durch Storytelling und geschickte Vermarktung erst hergestellt werden musste. Als Zeitschriftenjunkie konnte ich dies besonders in den aufkommenden Magazinen für grünen und fairen Konsum ablesen. Auch der Blick in die Schublade mit dem Material für meine DIY-Projekte offenbarte leider jede Menge Mist – Perlen, Stoffe, Stempelfarbe. Und Projekte, die man nicht einfach aufessen kann, nachdem man sich eine Weile damit beschäftigt hat. Ich verordnete mir also selber einen Kaufstopp für all die schönen Handmade-Dinge und Materialien, verließ das Ladenprojekt und lenkte meinen Selbermachdrang fortan auf die zwei Arbeitsflächen in unserer Küche und den Balkon vor dem Wohnzimmer.

Mein Blog – der nächste Schritt

Trotzdem: Wenn ich bei mir daheim durch die Wohnung laufe, kann ich zu fast allen Dingen sagen, wer sie gemacht hat oder woher sie stammen. Einiges ist selbstgemacht, viele Stücke tragen Geschichten in sich, und wenn ich mir morgens meine vier Ringe an den linken Zeigefinger stecke, dann stammen sie von vier verschiedenen Goldschmiedinnen, die ich alle sehr schätze und persönlich kenne. Wenn ich Musik hören will (und ja, ich spiele die immer noch nur von CD oder Platte ab), dann erinnern mich die letztgekauften Alben an Crowdfunding-Kampagnen, die ich unterstützt habe, von manchen Bands bekomme ich immer noch regelmäßig ein Update per Mail. Ich weiß beim Anblick der Sachen, dass ich mit meinem Geld direkt kleine Labels, selbstständige KünstlerInnen, kreative Menschen, mutige GründerInnen und viele Quereinsteiger und unkonventionelle Köpfe für ihre Leistung bezahlt habe – ohne große Umwege in der Wertschöpfungskette, ohne horrende Kosten für Logistik und Marketing und ohne riesigen Provisionen für Menschen, die wenig zur Wertschöpfung beitragen, aber viel dran verdienen.

Und dann soll ich auf den Tellern von Annika, in den Bechern von Elena und den Schüsseln aus dem kleinen Töpferladen in Oberammergau Essen servieren, von dem ich nicht weiß, wo es herkommt?

Deshalb schreibe ich communitysupported.org, spreche mit Projekten, lese, recherchiere. Frage nach, wie Kaffeebauern bezahlt werden, besuche Butterkurse, treffe Menschen, vollziehe Wertschöpfungsketten nach. Es geht mir hier nicht nur um Crowdfunding: Crowdfunding ist nur eine Möglichkeit, direkte Beziehungen zwischen denen, die etwas produzieren, und denen, die etwas konsumieren/kaufen herzustellen. Mich interessiert, wie Hofläden funktionieren, was Genussrechte mit Investoren und Höfen machen, wie Marktschwärmer Beziehungen verändern und Wochenmärkte uns wieder näher an die Entstehung unseres Essens bringen. Ich zeige analoge Formate genauso wie neue Plattformen im Internet, langfristig angelegte Projekte genauso wie Pop-up-Ideen. Und ich freue mich, wenn ich neue Ideen entdecke, Leute, die es anders machen wollen (und vielleicht auch ein bisschen weniger kapitalistisch).

DIY, jetzt mit Lebensmitteln

Gleichzeitig buddele ich selber im eigenen Garten oder im Acker „meiner“ SoLaWi, fermentiere und backe Brot: Weil ich dadurch wie beim DIY eine viel höhere Wertschätzung für das bekomme, was andere leisten. Meine These ist ja: Wer schon einmal Knoblauch von Hand gesteckt und damit Stunden kriechend auf dem Acker verbracht hat, der wird keine Knoblauchzehe mehr wegschmeißen. Wer sieht, wie lange ein Sauerteigbrot zum Gehen braucht, versteht den Preis beim handwerklich arbeitenden Bäcker. Und wer mal Sauerkraut selbst gemacht hat, kennt den Unterschied zur ultrahocherhitzten Industrieware aus dem Supermarkt. Ich will nicht Selbstversorgerin sein, sondern mein Abendessen kennen und wertschätzen.

Und ich bin der festen Überzeugung, dass Wissen mehr wird, wenn man es teilt. Und deshalb schreibe ich neben den Porträts und Interviews auch die „Crowdfunding-Wissen“-Artikel oder versuche gezielt, Erfahrungen von Projekten sichtbar und nachvollziehbar zu machen.

Der rote Faden? Direkte Beziehungen, kurze Wertschöpfungsketten, faire Bezahlung, lokale Netzwerke, persönlicher Kontakt, Geschichten, gegenseitige Wertschätzung, Vielfalt, kleine Strukturen, Erfahrungsaustauch, Selbermachen, Wissen, Verstehen, Plattformen schaffen, andere Vertriebsmodelle. Nur für die Berufsbezeichnung ist das noch immer zu lang…