Marlene Hinterwinkler ist Herz und Seele, Organisatorin und Gesicht des von Slow Food initiierten Projekts Genussgemeinschaft Städter und Bauern in München. Der als Verein organisierte Zusammenschluss ehrenamtlicher Aktivist*innen setzt sich für die bäuerlich-handwerkliche Lebensmittelvielfalt ein und stellt Verbindungen zwischen den Konsument*innen in der Stadt und den landwirtschaftlichen Erzeuger*innen in der Umgebung her. Der Verein unterstützt sowohl Biolandwirtschaft als auch Lebensmittelhandwerk. Marlene kennt viele landwirtschaftliche Betriebe südlich von München bis hin nach Südtirol, Niederbayern und auch der Norden von München zählt zu ihren Aktionsfeldern. Sie organisiert auch Produzent*innenreisen, Kurse und Verkostungen und wird immer dann angerufen, wenn es um neue Modelle von Direktvermarktung geht. Auf der Website der Genussgemeinschaft stellt sie regelmäßig Beteiligungsmodelle ganz unterschiedlicher Art vor. Mich interessiert besonders das Thema „Genussrechte“ – und deshalb freue ich mich sehr, dass Marlene sich bereit erklärt hat, mir hierzu ein paar Fragen zu beantworten.

Information: Dieses Interview dient dem Erfahrungsaustausch und ersetzt keine Rechtsberatung zum Thema Genussrechte.

Genussrechte – was ist das eigentlich?

Genussrechte sind eine mögliche Beteiligung an einem Unternehmen. Beim Genussrecht handelt es sich um eine vertraglich festgelegte Form, über die Beteiligungen an einzelnen Projekten oder ganzen Unternehmen möglich sind. Mit einer solchen Beteiligung ist jedoch kein Mitbestimmungsrecht verbunden. Aus dem Erwerb eines Genussrechtes ergibt sich für den Investor/die Investorin die Pflicht, dem Betrieb (Emittenten) eine bestimmte Summe Geld für einen vertraglich geregelten Zeitraum zur Verfügung zu stellen. Dieser  verpflichtet sich einerseits zur Rückzahlung des geliehenen Kapitals am Ende der Laufzeit und andererseits zur Zahlung einer vereinbarten Rendite während der Laufzeit für ein Genussrecht. Genussrechte sind risikobehaftet, da im Falle einer Insolvenz das eingezahlte Kapital nachrangig behandelt wird. Genussrechte müssen von einem zertifizierten Finanzdienstleister unter Beachtung aller steuerlichen und gesetzesmäßigen Vorschriften, einer vorherigen Analyse des Betriebes, der Machbarkeit und mit einem fundierten Businessplan erstellt werden. Die Rendite muss der Genussrechtsnehmer steuerlich geltend machen und darauf Kapitalertragssteuer an das Finanzamt abführen.

Wie sieht eine „Genussrecht-Kampagne“ aus? Gibt es einen festgelegten Zeitraum, in der die Genussrechte ausgegeben werden oder eine bestimmte Summe, die erreicht werden soll?

Die Kampagne läuft individuell, je nach Branche, dem vorhandenen Kundenkreis und dem jeweilig zu finanzierenden Objekt. In der Regel steht immer eine definierte Summe fest, die Zeitdauer bis zur Erreichung des Ziels ist individuell verschieden.

Du hast ja schon einige Genussrecht-Kampagnen mitbetreut – kannst du ein bisschen erzählen, für welche Projekte diese Form der Beteiligung an Betrieben genutzt wurde?

Ich habe in den letzten acht Jahren verschiedene Projekte begleitet und mich auch selbst daran beteiligt: Neubau einer Käserei, Neubau eines Hühnerstalls, Neubau eines Offenstalls und Einstellung einer Mutterkuhherde, Anschaffung eines Backofens in einer Bio-Bäckerei, Neuanschaffung von Braukesseln in einer Biobrauerei.

Wie haben die jeweiligen Betriebe auf die Vergabe der Genussrechte aufmerksam gemacht? Gab es Informationsveranstaltungen? Lief die Kommunikation eher online oder offline?

Wir haben die Betriebe bei der Veröffentlichung unterstützt, mittels TV-Beiträgen, Printmedien, Newsletter, Internetseiten und später dann auch mittels Social Media. Es gab immer mindestens 2-4 Betriebsführungen inkl. Vorstellung des wirtschaftlichen Konzepts durch den Betriebsleiter. Den Interessent*innen wurde ein Mustervertrag mit Bedingungen zur Verfügung gestellt.

Wer hat sich an diesen Projekten beteiligt? Kannst du sagen, in welcher Größenordnung Beträge zusammengekommen sind?

Beteiligt haben sich Verbraucher*innen unterschiedlichster Couleur. Aus dem Umfeld des jeweiligen Betriebes, aus den Mitgliederkreisen von Slow Food und der Genussgemeinschaft Städter und Bauern e.V., aus befreundeten Netzwerken, von Nah und Fern. Bürger*innen, die bezüglich der schlechten Zinslage bei Bankangeboten die relativ hohe Verzinsung der Genussrechte attraktiv fanden und finden, insbesondere den „Naturalzins“. Die Investitionssummen der einzelnen Projekte beliefen sich dabei immer auf 100.000€.

Was muss man deiner Erfahrung nach beachten, wenn man Genussrechte ausgeben will?

Als Betrieb muss man offen sein und mit modernen Kommunikationsmethoden umgehen können – auch mit Social Media. Man darf nicht „Leutescheu“ sein. Man muss damit rechnen, dass die Investor*innen auf den Hof kommen, wissen wollen, wie sich das Vorhaben entwickelt usw. Gleichzeitig entsteht eine positive Entwicklung, die zur Folge eine Wertschätzung der Arbeit des landwirtschaftlichen Betriebes oder des handwerklichen Betriebes zur Folge hat. Kundenbindung ist damit keine hohle Floskel und dies über viele Jahre hinweg. Investor*innen werden auch zu Botschaftern „ihres“ Hofes und Investments und treten als Multiplikatoren auf.
Betriebe, die Genussrechte ausgeben, müssen sich einen seriösen und erfahrenen Berater nehmen und sich rechtlich entsprechend beraten lassen. Verbunden damit ist auch die Anschaffung eines Softwareprogramms, das die jährlichen Zinsgutscheine für die Investoren errechnet, die Kapitalertragssteuer ausweist und vom Betrieb selbst gepflegt werden kann.

Wie viel Vorbereitung steckt in so einer Aktion?

Das ist schwer zu beantworten. Es hängt vom Konzept des Betriebes, dem Investitionsvorhaben und der Machbarkeit, der betriebswirtschaftlichen Plausibilität und nicht zuletzt der individuellen Lage ab.

Sind durch die Genussrechte langfristige Beziehungen zwischen Konsument*innen und Erzeuger*innen entstanden?

Auf jeden Fall! Die Investor*innen identifizieren sich sehr mit dem Betrieb, in den sie investiert haben, den Menschen, die dort leben und arbeiten und den Produkten, die hergestellt werden. Und weil man darüber hinaus ja auch ein Interesse hat, dass es dem Betrieb wirtschaftlich gut geht, kurbeln viele Investor*innen die Geschäfte des Hofes oder Betriebes an, indem sie als Multiplikator*innen fungieren.

Gibt es sonst noch etwas, was du zum Thema “Genussrechte“ unbedingt loswerden willst?

Viele Betriebe scheuen den bürokratischen Aufwand, das ist schlüssig und leicht zu verstehen. Deshalb sind viele unserer befreundeten Höfe zum Teil für kleinere Investitionsvorhaben auf andere Modelle wie z.B. Gutscheinausgabe mit späterer Fälligkeit, Vorverkauf von später fertiggestellten Produkten und Patenschaftsmodelle übergegangen.

Mehr zum Thema Genussrechte im Interview mit Gernot Meyer von genussrechte.org.